Nestbeschmutzung

Sören Benn


zum Zwecke der Ermutigung. Meine LINKE hat die Krise, immer noch.

„Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.“ Albert Einstein, angeblich

Das ist so. Alle wissen es. Manche sagen es offen, andere zwischen den Zeilen, wieder andere retten sich in Beschwörungen von Einheit oder in Appelle, alle sollten sich zusammenreißen. Klappe halten, intern diskutieren, Hausaufgaben machen. Dann wird schon alles gut. Die Zeit tut ihr Übriges. Irgendwann ist auch eine kaputte Uhr wieder on time. Man muss nur lange genug warten.

Die sanfte Transformation einer gescheiterten Versuchsanordnung in eine erfolgreiche, ohne harte Brüche, ohne Trennungen und Neuerfindungen ist aber eine Illusion, die vielleicht einzelne noch in die Rente rettet, dem Gesamtladen aber nur als Sterbebegleitung dienen kann.

Posten machen Leute, Leute machen Parteien

Ein Großteil der Abgeordneten und auch langjährige fest angestellten Mitarbeitende der Fraktion und der Parteizentrale sind befangen und damit gefangen in den Konfliktlinien der vergangenen Jahre, die immer Konfliktlinien von Personengruppen waren und bleiben werden. Das ist wie in Familien, häufig unauflöslich.

Es braucht dringend Personen sowohl an der Parteispitze als auch in den Leitungspositionen der Fraktion, die nicht in überkommenen Loyalitätsbeziehungen gefangen sind, die nicht sofort überall Reflexe auslösen und die gleichzeitig mit einer großen inneren Stärke die notwendigen inhaltlichen Diskussionen tatsächlich im doppelten Wortsinne führen wie auch ganz grundsätzlich sicherstellen, dass nicht erneut informelle Machtstrukturen und taktische Bündnisse die inhaltliche und personelle Weiterentwicklung der Partei lähmen.

Was den Parteivorstand angeht, haben es die Delegierten im Ende Juni in der Hand. In der Fraktion hilft wohl nur eine Palastrevolution. Von außen ist jedenfalls nicht erkennbar, das handelnde Personen erkannt haben, dass sie im Laufe der Jahre zum Teil des Problems geworden sind.

Reaktions- und Handlungsmusternde

Aussitzen und ausmanövrieren. Don´t believe the hype. Das scheint ein lang gepflegtes Muster in der Linkspartei zu sein. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Es geht nicht um hektische Reaktionen, es geht nicht um das pure Auswechseln von Personen, ohne das die der Krise zugrunde liegenden Probleme bearbeitet sind.

Es geht darum zu begreifen, das zur Bearbeitung von Problemen auch der Wechsel von Personen in der Regel dazu gehört, weil Ideen, Denkweisen und Praxen sich nicht selbst realisieren, sondern immer nur durch das Handeln konkreter Personen. Die Personenkonstellation, die eine Krise zu verantworten hat, wird nicht die Personenkonstellation sein können, die aus ihr herausführt. Die Akteure des machttaktischen Bündnisses, des sogenannten Hufeisen müssen nach Hause gehen, praktisch oder metaphorisch. Jedenfalls sind sie nicht mehr Teil der Lösung.

Wenn das nicht endlich begriffen wird, wird nichts besser werden können.

Wirklichkeitsbezug

Die Linkspartei gleicht in weiten Teilen eher einer Glaubensgemeinsschaft als einem wertebasierten poltischem Diskursraum, der neugierig und zupackend auf sich stetig verändernde Impulse aus der Gesellschaft reagiert. Sie hat ihre Rechtgläubigen, selbsternannte Inquisitoren, sie kennt Renegaten, Abweichler und Verräter. Und vor allem kennt sie die Bürokraten des Status Quo.

Dem entspricht häufig eine gebetsmühlenartige Kommunikation, bei der man schon vor der Reaktion auf ein Ereignis weiß, wie die Reaktion auf dieses Ereignis aussehen wird. Und wenn die Wirklichkeit dann doch einmal die Routine durchbricht, wird gequält drumherum fabuliert.

Jeder Glaubensgemeinschaft ist die Hybris der Unfehlbarkeit & des absoluten Wahrheitsanspruches eingeschrieben. Das Glaubensgebäude muss gegen alle Anfechtungen einer einbrechenden Wirklichkeit in seiner grundlegenden Statik verteidigt werden.

Dieser Modus muss durchbrochen werden. Wir wissen nicht, was die Welt zusammenhält. Wir haben immer nur Arbeitshypothesen. Es gibt immer nur Näherungswerte. Versuch, Irrtum, falsifizieren, verifizieren, die eigenen Thesen auf ihre Tragfähigkeit und Praxistauglichkeit abklopfend. Das muss der Betriebsmodus sein. Die Aufgabe ist nicht, die Wirklichkeit zu reframen, damit sie ins Programm passt. Die Aufgabe ist, die Wirklichkeit ernst zu nehmen und eher die eigene Praxis zu befragen als Medien zu beschimpfen. Parteien sollen wirksame Agenturen zu Modellierung gesellschaftlicher Praxis sein. Dafür müssen sie mit dieser Praxis verwoben sein, müssen sie ständig aktuelle Daten verarbeiten, müssen die eigenen Instrumente zur Datenerfassung, Datenverarbeitung überprüfen und anpassen. Sonst reden sie über die Veränderung einer Welt, die so nicht existiert. Folglich fühlt sich kaum jemand angesprochen, wirkt die Partei wie aus Raum & Zeit gefallen.

Fähigkeiten

Wer wie die Linkspartei den m.E. richtigen Anspruch erhebt, darauf zu bestehen, dass sich die wesentlichen Problemlagen unserer Welt nur dann lösen lassen, wenn wir das ökonomische Betriebssystem bei der Suche nach Lösungen nicht aussen vor lassen, der hat einen hohen Anspruch sowohl an die eigenen Fähigkeiten als im Hinblick darauf, welches Vorschussvertrauen er sich da erbittet.

Denn das Wechseln bzw. update des ökonomischen Betriebssystems in den Raum zu stellen, ohne eine fertige und nachgewiesen funktionierende Neuversion zu haben, macht Angst und trifft zunächst auf Ablehnung. Da braucht es noch gar keine Verweise auf historisches Versagen als SED. Das kommt obendrauf.

Die Gesellschaft wird solche tiefgreifenden Wandel nur solchen politischen Kräften überhaupt anvertrauen, die zuvor erwiesen haben, dass sie mit den Wechselfällen des Lebens auch im Tagesgeschäft situationsadäquat und lösungsorientiert umgehen können. Sie wird nur denen zutrauen mit den überraschenden Schwierigkeiten fertig zu werden, die reflektiert und selbstreflexiv diese Schwierigkeiten schon vorab auch zum öffentlichen Gespräch machen, anstatt sie zu verleugnen, schlicht Krisenlösungskompetenz zugeschrieben wird. Davon ist die Linkspartei sehr weit entfernt.

Wer die Gesellschaft so weitgehend verändern will, muss sich zunächst selbst sehr weitgehend verändern und eine Organsiations- und Diskussionskultur entwickeln, die angstfrei ist, die nicht mit Denkverboten agiert, deren Wertefundament sich im Alltag auch im Umgang untereinander jederzeit beweist, jedenfalls diesen Anspruch sehr ernst nimmt.

Und sie muss dennoch ganz klar in ihren Konturen erkennbar sein, ihre Debatten, die anziehend sind, transparent machen. Sie muss die Neugier weiter Teile der Gesellschaft an ihren Debatten wecken können.

Das selbstbezügliche Rechthaben, die „Wir gegen alle anderen“- Mentalität, das „Wir sind die einzige Partei die…“-Gehabe, die beinharten Beharrungskämpfe der Strippenzieher sind ein sicherer Weg in die Selbstisolation, in die erbärmlichste und radikalste Variante einer Glaubensgemeinschaft, die Sekte.

Charismatische Figuren und rethorische Talente sind eine schöne Sache. Aber sie bergen immer auch demobilisierendes Potential. Sie können gute Gesamtperformance verstärken, zum Glänzen bringen, aber nicht dauerhaft ersetzen. Sind sie zu dominant und geltungssüchtig, verlottern Parteien zu Wahlvereinen oder machen sie sich untertan. Die also werden keine Rettung bringen.

Die Linkspartei muss ihr eigenes Betriebssystem zunächst grundständig ändern, bevor sie wieder glaubhaft den Anspruch anmelden kann, gesamtgesellschaftlich gestalten zu können. Natürlich kann es sein, dass die Linke auch ohne das bald wieder dauerhaft über 5 % gehandelt wird, wenn die gesellschaftliche Lageentwicklung ihr in die Hände spielt. Das mag dann den Handlungsdruck verringern. Es ändert aber m.E. nichts an ihren strukturell ausgehärteten Disfunktionalitäten. Und geht es nicht darum, wenn man denn schon mal gewählt wird, auch einen Unterschied machen zu können ? Dafür muss man vorbereitet sein. Das ist die Linkspartei nicht.

In den letzten Jahren hat sich die Alterspyramide bei insgesamt sinkenden Mitgliederzahlen an der Basis erfreulich verbreitert. Das könnte ein Hoffnungszeichen sein, wenn es verstanden wird. Die Generation unter 45 Jahren sollte also jetzt auch die Ruder übernehmen in Bundespartei- und fraktion. Selbstbewusst und anspruchsvoll. Lasst Euch nicht bitten. Mistraut Euren Föderern. Meidet die Netzwerker.

13.5.2022